Alina und der gelbe Ball

Alina und der gelbe Ball

Geschichte 4

Alina und der gelbe Ball
Objekte als Übergangshilfe bei Situationswechseln
Alina (5 Jahre) konnte lange Zeit nicht in den Kindergarten gehen. Seit fast 7 Monaten sah sie ihre Erzieher*innen nicht. Sie konnte auch nicht mit ihren Freund*innen zusammensein. Sie war krank.
Nun ist es soweit. Alina darf wieder in den Kindergarten. Alle Kinder freuen sich auf sie. Die Eltern sorgen sich jedoch. Wird Alina „einfach so“ nach langer Zeit wieder in den Kindergarten gehen? Wechsel in ihren gewohnten Alltagsabläufen mag Alina überhaupt nicht.
Am Morgen sprechen die Eltern mit Alina. Ruhig und geduldig beschreiben sie, was es im Kindergarten alles zu entdecken gibt. Aber als sie später in die Straße zum Kindergarten einbiegen, beginnt Alina bitterlich zu weinen. Sie nimmt den Arm der Mutter und möchte umkehren.
Die Eltern nehmen ihre Tochter auf den Arm und tragen sie weinend bis zum Kindergarten. Alle sind hilflos und traurig: Alina, ihre Eltern, die Erzieher*innen und die Kinder, denn Alina kann sich nicht beruhigen.

Abb. 1 Während ihrer Krankheit sind Alinas Eltern täglich mit ihr zur Brücke gelaufen. Alina kennt den Weg genau. Sie freut sich auf den Fluss und möchte Steine hineinwerfen. Immer trägt sie ein paar davon in ihrer Tasche bei sich.

Wie können die Eltern Alina erklären, dass sie heute nicht zum Fluss, sondern zum Kindergarten gehen wollen?

Spiele-grüne-rote-Punkte

Abb. 2: Plötzlich biegen die Eltern mit Alina in die Kindergartenstraße ein. Jetzt wird Alina sehr wütend. Sie möchte doch zum Wasser gehen!

Wie können Eltern, Erzieher*innen und Alinas Freund*innen helfen, damit sie sich wieder auf den Kindergarten freut?

 

Das ist eine schwierige Frage, auf welche es keine einfache Antwort geben kann. Denn viele Stärken und Herausforderungen des Autismus werden in dieser Situation plötzlich sichtbar. So wird beispielsweise Alinas Stärke, sich Abläufe gut zu merken und diese auch beständig einzuhalten, jetzt zu einem Hindernis. Auch ihre Vorliebe sich an Details zu orientieren, hindert sie daran, die vielen Informationen der Eltern zu erfassen …

Alina und ihre Eltern erleben eine Krisensituation. Jedoch können in einer Krise neue Verhaltensweise nur schwer erlernt werden. Das kennt bestimmt jeder von sich selbst. Erlebt man Stress, weil z. B. etwas anderes geschieht als erwartet oder man zu viele Dinge erledigen muss oder weil man sich nicht richtig vorstellen kann, was in den nächsten Momenten passieren wird, oder weil wir vielleicht auch die Sprache der anderen nicht verstanden haben …, dann möchten wir uns doch auch am liebsten aus all dem Stress zurückziehen, weglaufen oder einfach laut rufen: „Ich will das jetzt nicht tun! Das ist mir alles zuviel!“. So wie Alina.

Die Eltern, die Bezugserzieherin und die Autismuspädagogin treffen sich zu einem kleinen Unterstützerkreis, um sich abzustimmen.

Fotos und Tasche mit Kreuz
Abb. 3: Ein kleiner Unterstützerkreis findet am Nachmittag im Kindergarten statt. Wie können alle zusammen eine „Brücke“ für Alina bauen, damit sie das Übergangshindernis überwinden kann?

Gemeinsam werden Beobachtungen und Vermutungen zusammengetragen. Die Unterstützer*innen möchten Alina verstehen, um die Situation autismussensibel zu verändern.

Familienmitglieder, die nicht mitspielen können.
Sie beschließen:

Eine gemeinsame positive Spielerfahrung soll Alina helfen, sich auf den Tag im Kindergarten zu freuen.

Alle Dinge, welche Alina mag, sollen in ein tägliches „Begrüßungsspiel“ eingebunden werden. Dieses Spiel soll für Alina eine Brücke in den Kindergartenalltag sein. Dabei wird beobachtet, mit welchen Objekten Alina besonders gern spielt. Eines davon soll ein Übergangsobjekt werden (Referenzobjekt).

Als Alina am nächsten Tag weinend an der Kindergartentür steht, wird sie von ihrer Erzieherin mit einem strahlenden Blick und einem „Spielkorb“ begrüßt. In der Fachberatung mit der Autismuspädagogin hatte sie schon viel über eine alltagsintegrierte Kontakt- und Interaktionsförderung erfahren. Sie weiß, das Anstrahlen ist ein bedeutsames Element 😊. Noch im Flur beginnt das Spiel. Es heißt: „Was rollt, springt, purzelt, plumpst … von oben nach unten?“ Die Erzieherin hat 2 Spielexperten mitgebracht. Akin und Sebastian wissen schon ganz genau, wie dieses Spiel geht und können Alina helfen.

 

Das Team der Spielgruppe:

Akin und Sebastian sind Spielexperten

Alina ist (noch) Spielanfängerin

Frau Schmidt
Führt durch das Spiel.

Kleiner Tipp: Dieses Vorgehen findet sich im Konzept der Integrierten Spielgruppen (IPG – Integrated Play Groups®) von Pamela Wolfberg (2019). Durch Methoden der geführten Teilnahme sind gemeinsame Spielerlebnisse von Spielanfängern und Spielexperten möglich. Ein sehr empfehlenswertes Modell 😊!

Abb. 4: Viele Ideen bringen die Spielexperten ein. Alina staunt und freut sich besonders über den hüpfenden gelben Ball. Der Treppenaufgang und eine schiefe Ebene werden zum Spielplatz. Immer wieder rollen und hüpfen Bälle, Walzen, Röhren, Strumpfbälle etc. nach unten.

Die Erzieherin beendet das Spiel, indem sie ein Lied zum Abschluss singt und ein Tuch über den Korb ausbreitet, nachdem alle Materialien wieder in diesem verwahrt sind. Alle hatten große Freude. Alle hatten beobachtet, dass Alina am liebsten die gelben Bälle aus dem Bällchenbad springen und hüpfen liess.

 

Alina bekommt ein „Kindergartenzeichen“.

 

 

 

Jetzt geht es in den Kindergarten.

Im Kindergarten wird der Ball ausgepackt und in den Spielkorb gelegt. Und nun startet wieder das gemeinsame Spiel. Geschafft! Das Spiel ist eine Brücke in den Kindergartentag geworden. Nun können die nächsten Schritte besprochen werden.

Abb. 5: Einige Zeit später ist aus dem Ball eine Objektkarte geworden, welche stellvertretend für den richtigen gelben Ball steht.

Liebe Leser*innen, dies ist natürlich nur eine Geschichte von vielen. Und vorallem ist es die Geschichte von Alina. Was ihr geholfen hat, hilft nicht allen Kindern. Aber vielleicht finden Sie auch ein Übergangsobjekt, mit welchem Ihr Kind eine schwierige Situation, ein Hindernis besser überwinden kann?

Ihre Silke Schellbach

Ein roter Faden – Unterstützerkreise als prozessbegleitende Beratung

Ein roter Faden – Unterstützerkreise als prozessbegleitende Beratung

EIN ROTER FADEN

UNTERSTÜTZERKREISE ALS PROZESS BEGLEITENDE BERATUNG
Die Herausforderungen im Zusammenhang mit Autismus sind oft sehr komplex. Jedoch ist nicht das autistische Kind, der Jugendliche oder Erwachsene herausfordernd! Die Herausforderung entsteht eher durch Situationen, die für autistische Menschen nicht optimal sind und deshalb zu Problemen führen. Hierin liegt eine große Chance für autistische Menschen und deren Unterstützer*innen.

Denn Situationen können sich meist verändern, wenn diese aus einer Unterstützungsperspektive heraus betrachtet werden.

Unterstützerkreise Schatz und Schellbach 2009

Das Konzept der „Unterstützerkreise“ wurde von Yvette Schatz und mir vor einigen Jahren während unserer gemeinsamen Arbeit im Autismuszentrum KleineWege® entwickelt (Schatz und Schellbach 2009).

Ein Kerngedanke des Konzeptes ist, dass alle Unterstützer*innen, Familienangehörige, Fachpersonen und Nicht-Fachpersonen als auch das autistische Kind selbst, der Jugendliche oder Erwachsene in einem strukturierten Beratungskontext zusammenfinden, um ein personenzentriertes und familienorientiertes gemeinsames Vorgehen zu ermöglichen.

Der „Unterstützerkreis“ entstand aus unserer wiederkehrenden Erfahrung heraus, dass autistische Menschen von vielen Fachpersonen und Unterstützer*innen mit medizinischen, therapeutischen, heil-, sonder- oder sozialpädagogischen Angeboten begleitet werden. Dabei wissen diese oft nicht ausreichend von den pädadogischen und therapeutischen Zielstellungen der anderen. Auch findet sich oft kaum Raum und Zeit für die Abstimmung der wesentlichen Zielstellungen nach familienbedeutsamen und lebensbedeutsamen Aspekten.

Eine Abstimmung ist auf Grund der stark ausgeprägten Übertragungsschwierigkeiten (Generalisierungsprobleme) autistischer Menschen besonders wichtig.

Der Kerngedanke des Unterstützerkreises soll hier kurz am Beispiel von Leo gezeigt werden:

Fachberatung Autismus Silke Schellbach - Küchenschrank-grüne-Punkte

Das ist Leo.

 

Er liebt jede Art von Fäden und hält diese gern in der Hand.
Seine Lieblingsfarbe ist rot.
Meist hält Leo den roten Faden in der Hand.

DER LEBENSWEG ALS ROTER FADEN

(Eigene Darstellung angelehnt an Schatz und Schellbach 2009, S. 12 -27)

Stellen wir uns den Lebensweg wie einen roten Faden vor: Es zeichnen sich schnell Ereignisse ab, welche alle Gleichaltrigen vereinen. Schon mit der Geburt des Kindes blicken wir auf den Kindergarten (weil wir hierzu eine Entscheidung treffen müssen) und bald wissen wir um die wohnortnahe Schule, denken vielleicht schon an Freizeitaktivitäten und Vereine, weil vielleicht in der Familie ein Hobby generationsübergreifend gepflegt wird. Und auch wenn wir zu diesem Zeitpunkt nicht daran denken möchten, wissen wir, dass irgendwann eine Schule zu Ende ist und sich dann die Frage nach einer beruflichen Qualifikation stellt … Wir wissen auch, dass viele Menschen außerhalb der Familie wichtig für das Kind werden und wünschen uns, dass es möglichst viele Freunde finden wird.
So einfach, wie hier geschrieben, ist es natürlich für die meisten Menschen nicht.

VIELE HINDERNISSE* IN WECHSELWIRKUNG MIT DER UMWELT

* statt Hindernisse wird in der Fachliteratur oder in der Gesetzgebung eher der Begriff Barriere benutzt. Ich nutze oft lieber den Begriff Hindernis, da dieser die Be-Hinderung deutlicher macht.

Familien mit einem Kind, welches unter den Bedingungen des Autismus den roten Faden seines Lebens entdecken möchte, haben es häufig sehr schwer. Familie und Kind stehen vor enorm vielen Herausforderungen.

So sind beispielsweise die Teilhabe am Familienalltag, der Gemeinschaft und Bildung im Kindergarten oder der Schule für das Kind mit vielen Hindernissen verbunden.

Leo geht mehrmals in der Woche zu verschiedenen Therapien, um mit den Hindernissen besser klarzukommen.

Viele Menschen unterstützen ihn. Zum Beispiel …

Im Vergleich zu seinen Gleichaltrigen lernt Leo ganz schön viele „Zusatz- Etappen“ mit vielen zusätzlichen Personen auf seinem Lebensweg kennen.

HINDERNISSE ABBAUEN IST EINE GEMEINSAME AUFGABE

 

Diese Hindernisse zu bemerken und möglichst abzubauen, ist die Aufgabe von allen Unterstützer*innen. Das können Leo und seine Familie nicht allein schaffen. Dabei geht es vielleicht um solche Hindernisse: Wie kann das Anziehen am Morgen so strukturiert werden, dass die Handlungsfolge für das autistische Kind verständlicher ist und dieser morgendliche Prozess dann nicht mehr den Start in den Schultag behindert? Welche Voraussetzungen können in der Schulmensa ermöglicht werden, damit der Schüler ungehindert seine Mittagsmahlzeit einnehmen kann? Wie kann ein erwachsener junger Mann motiviert werden, sein I-Pad als Kommunikationsmittel auch außerhalb der WG zu benutzen? ….

DER UNTERSTÜTZERKREIS – UNTERSTÜTZUNGSMASSNAHMEN ABSTIMMEN

Im Unterstützerkreis bilden alle ein gemeinsames Arbeitsbündnis.

Jedoch geht es im Unterstützerkreis nicht darum, dass alle in ihrem Lebensalltag das Gleiche tun. Das fände Leo sicher sehr langweilig. Es soll vielmehr über das autismussensible Vorgehen bei der Auswahl von Hilfsmitteln, bei der Etablierung von bedeutsamen Strukturen, beim Gehen gemeinsamer Kommunikationswege, beim Lernen …. beraten und abgestimmt werden. Denn das größte Hindernisse für autistische Menschen ist es, wenn es in verschiedenen Lebenssituationen verschiedene Hilfen auf unterschiedlichen Kommunikations- und Abstraktionsebenen gibt.

Fehlende Absprachen zwischen den Familien, Fachleuten und Unterstützer*innen sind ein großes Hindernis für Menschen aus dem Autismusspektrum.

KOOPERATION UND AUSTAUSCH MINIMIERT SCHWIERIGE (PÄDAGOGISCHE) SITUATIONEN.

Wollen Sie mehr über Unterstützerkreise und darüber, wie man diese vorbereitet, durchführt und nachbereitet erfahren?
Nehmen Sie gern mit mir Kontakt auf.

Ihre Silke Schellbach

TIPP:

Wer sich vertiefen möchte, kann u. a. in dieser Fachliteratur stöbern:

 

  • Schatz, Yvette; Schellbach, Silke (2009): Unterstützerkreise. Nordhausen: Kleine Wege.
  • Schatz, Yvette; Schellbach, Silke (2015): Unterstützerkreis: In: Georg Theunissen, Wolfram Kulig, Vico Leuchte und Henriette Paetz (Hg.): Handlexikon Autismus-Spektrum. Schlüsselbegriffe aus Forschung, Theorie, Praxis und Betroffenen-Sicht. Stuttgart: Kohlhammer, S. 372-374.
  • Schellbach, Silke (2021): Heilpädagogische Förderung und Unterstützung bei Autismus. Die Balance zwischen Offenheit und Struktur bei der Unterstützung von Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum. In: heilpaedogik.de 36 (3), S. 17-22.
  • Theunissen, Georg; Sagrauske, Mieke (2019): Pädagogik bei Autismus. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer, S. 111-117.
  • Theunissen, Georg (2021): Basiswissen Autismus und komplexe Beeinträchtigungen. Lehrbuch für die Heilerziehungspflege, Heilpädagogik und (Geistig-) Behindertenhilfe. Freiburg: Lambertus, S. 289.
AUS DER PRAXIS:

Fachberatung Autismus Silke Schellbach - Roter Koffer Die Temple – Grandin-Schule – Inklusive Schwerpunktschule mit dem Förderschwerpunkt Autismus – in Berlin Friedrichshain hat schon seit mehreren Jahren das Konzept des Unterstützerkreises in ihre schulische Praxis etabliert.

Ich freue mich darauf, am 03.05.2022 dort im Team zu sein und einen Workshop zum Thema zu gestalten.

 

Wer Lust hat, kann in der Schulkonzeption nachlesen. Nicht nur wegen der Unterstützerkreise lohnt sich ein Blick.

Abb. 1

 

Abb. 2

Abb. 1 u. 2. Unterstützerkreis in der Schulkonzeption (Senatsverwaltung Berlin 2014, S. 55-56)

Quelle:
Senatsverwaltung Bildung, Jugend und Wissenschaft von Berlin (2014): Schulprogramm der Schule am Friedrichshain. Berlin, S. 55-56. Online zugänglich: https://www.temple-grandin-schule.de/wp-content/uploads/Schulprogramm-Temple-Grandin-Schule.pdf, letzter Zugriff: 30.04.2022

Farbige Punkte und ein rotes Kreuz

Farbige Punkte und ein rotes Kreuz

Geschichte 3

Visuelle Markierungen verdeutlichen eine Regel für das Zusammensein mit anderen
Farbige Punkte und ein rotes Kreuz
Jasper geht in die 3. Klasse der Grundschule. Er liebt jede Art von Gesellschaftsspielen, welche klare Regeln vorgeben. In der Schule findet sich oft wenig Zeit dafür. Nach seinen Hausaufgaben sucht Jaspar deshalb meist seinen Lieblingsspiele und möchte, dass alle Familienmitglieder mitspielen, welche gerade zu Hause sind. Jaspar scheint nicht zu verstehen, dass nicht immer alle Zeit dafür aufbringen können, nicht jeder gerade Lust hat oder einfach auch noch nicht alt genug für diese Spiele ist, wie seine kleine 2-jährige Schwester. Im Familienalltag bringt seine Spielleidenschaft Eltern und Geschwister oft zur Verzweiflung, denn Jaspar bleibt solange hartnäckig, bis ein Spiel beginnen kann. Eltern und Geschwister wünschen sich, dass Jaspar sich besser in die anderen hineinversetzt und akzeptiert, dass er auch einmal allein spielen kann.

1. Einen Wunsch als Ziel formulieren:

„Heute können wir nur das Spiel XY oder Z spielen. Bei diesem Spiel spielen folgende Familienmitglieder mit: ……….. .”

 

2. Überlegen, wie das erwartete „richtige” Verhalten verdeutlicht werden kann. Die neue Regel in einer positiven Sprache formulieren.
Um auf Jaspars Stimmungen gut eingehen zu können, ist es wichtig, dass er eine Spielauswahl treffen kann. Im Kinderzimmer ordnete die Mutter die Spiele in unterschiedliche Fächer ein und kennzeichnete die Bereiche mit S, M und L (small, middle, large).

Spiele-grüne-rote-Punkte

 „Wähle bis zu 3 Lieblingsspiele aus. Nimm aus jedem Fach nur 1 Spiel heraus. Bringe deine Auswahl zur ›Spielberatung‹ zum Küchentisch.”

 

Die Auswahl des Spieles für das passende Zeitfenster der Familie übernimmt ein Familienmitglied. Mit Hilfe der farbigen Punkte wird markiert, welche Spiele jetzt gespielt werden könnten und welche nicht.

Fachberatung Autismus Silke Schellbach - Grüner-Punkt 
 Der grüne Punkt verdeutlicht:

„Dieses Spiel können wir jetzt spielen!“

roter-punkt

 Der rote Punkt bedeutet:

„Das Spiel muss warten! Wir können es jetzt nicht spielen.”

Nachdem ein Spiel ausgewählt wurde, braucht Jaspar nun noch eine Unterstützung, um zu verstehen, dass nicht alle Anwesenden auch wirklich mitspielen können. Dafür wurden mit Jaspar Fotos der Familie gesucht, ausgeschnitten und auf Kärtchen geklebt. Alle anwesenden Familienmitgliederkärtchen (oder Gästekarten wie Oma und Opa) werden ausgebreitet. Diejenigen, welche mitspielen können, werden bleiben sichtbar. Alle anderen steckt Jaspar in die Tasche mit dem  Rotes-Kreuz .

 

Rotes-Kreuz „Wer in der Tasche steckt, spielt jetzt nicht mit!”

Fotos und Tasche mit Kreuz

3. Darüber beraten, wie Jaspar die neue Regel positiv erlernen kann.

Die Familie beschloss, diese Regel an einem Wochenende einzuführen und in einem «Familienrat» zu besprechen. Die Materialien (Fotos, Kärtchen, Punkte …) wurden vorher zusammengesucht.

4. Das Hilfsmittel in der konkreten Situation einführen und mit positiven Erfahrungen verbinden.

Eltern und Geschwistern spielten gemeinsam am Wochenende in verschiedenen Zeitabschnitten verschiedene Spiele nach dieser neuen Regel.

Familienmitglieder, die nicht mitspielen können.

Es gibt immer noch schwierige Tage, aber meistens kann sich Jaspar an die Regel halten. Rotes-Kreuz

#Autismus #Herausforderungen #Stärken #Erziehung #Entdeckerfreude #Unterstützerkreis #Visualisierung #TEACCH #Unterstützte Kommunikation #Familie #Gemeinsame Zeit #Kinderzimmer #Mitspieler #Spielen

Eine Geschichte von grünen und roten Punkten

Eine Geschichte von grünen und roten Punkten

Geschichte 2

Visuelle Markierungen erklären eine Regel im Umgang mit den Dingen
Eine Geschichte von grünen und roten Punkten

Hat Oskar (5 Jahre) Zeit zum Spielen, dann ist gern in seinem Kinderzimmmer und räumt seine Legobausteinkästen aus und sortiert sie beim Einräumen neu ein. Das ist für ihn nach einem turbulenten Kindergartenalltag eine wirkliche Entspannung. Nach dieser Entspannungszeit ist Oskar auf der Suche nach neuen Spielideen. Am liebsten geht er in der Küche auf Entdeckertour und erkundet, welche Dinge sich hinter den vielen Schranktüren befinden. Es gibt soviel zu Entdecken! Etwas zum Klappern, zum Drehen, glitzernde Dinge, laute Sachen, Knistertüten, große Töpfe mit und ohne Deckel, Dinge, in welche man etwas hineinschütten kann, Dinge, aus denen etwas herausgeschüttet werden kann … Oskars Eltern teilten zu Beginn dieseEntdeckerfreude, denn noch vor 2 Jahren, nahm er kaum von selbst etwas anderes als sein Spielzeugtelefon in die Hand. Doch nach fast einem Jahr täglichem Küchenchaos sind sie verzweifelt.

„Wie kann Oskar lernen, nicht immer alle Schränke auszuräumen?”

Oskars Eltern helfen sich zunächst damit, dass sie die Küche abschließen. Oskar kann das nicht verstehen. Er weint lange oder wirft sich sogar wütend auf den Boden. Und dann gibt es noch die anderen Schränke in der Wohnung! Sollen die Eltern alle Türen abschließen?

Die Eltern wissen, dass dies nicht langhaltend der Weg für das Zusammenleben als Familie sein kann. In der Elternschulung erarbeiteten sie sich einen Lösungsweg, von welchem hier kurz berichtet werden soll:

1. Einen Wunsch als Ziel formulieren:

„Oskar räumt nur noch die Schränke/ Schubladen aus, welche für ihn bestimmt sind.”

Oskar sollte also weiterhin, spannende Dinge in der Küche erkunden können. Denn Oskar mag das Spielen in der Küche und die Eltern mögen es, wenn Oskar bei ihnen ist. Die Sachen der Eltern sollten jedoch in den Schränken bleiben.

 

2. Überlegen, wie das erwartete »richtige« Verhalten verdeutlicht werden kann. Die neue Regel in einer positiven Sprache formulieren.

gruener-punkt

 Der grüne Punkt verdeutlicht:

 

„Hier ist dein Schrank. Du kannst ihn öffnen. Es sind viele spannende Sachen darin!“

roter-punkt

 Der rote Punkt bedeutet:

 

„Stopp! Die Schranktür bleibt zu!”

3. Darüber beraten, wie Oskar die neue Regel positiv erlernen kann. Reicht es, einfach Punkte auf die Schränke zu kleben? Wird Oskar diese überhaupt wahrnehmen? Warum soll er es akzeptieren, dass diese Punkte eine neue Regel verdeutlichen? Die Eltern wollten zunächst Übungswege außerhalb der Krisensituation (Oskar sitzt bereits vor einem Küchenschrank und möchte ihn öffnen) finden.

Die Eltern und Geschwister spielten mit Oskar verschiedene Spiele, welche den grünen Punkt und roten Punkt mit positiven Erfahrungen besetzten.

Das „Grüne Ampel – rote Ampel – Spiel“ ist ein Beispiel.

Es wurde ein Lieblingsspiel von Oskar. Der Vater und Oskar bauten zunächst zusammen einen Signalstab und malten ihn mit grüner und roter Farbe an. Nach seiner Fertigstellung wurden verschiedene Dinge ausprobiert, die gemacht werden dürfen und bei Rot mit dem Wort „Stopp“ beendet werden sollten. Zum Beispiel ganz laut auf Töpfe schlagen oder eine Kissenschlacht machen …. Oskar hielt gern den Signalstab und achtete genau darauf, dass bei Rot alle wirklich stoppten.

Fachberatung Autismus Silke Schellbach - Küchenschrank-grüne-Punkte

4. Das Hilfsmittel in der konkreten Situation einführen und mit positiven Erfahrungen verbinden.

Als Oskar die Bedeutung der Punkte verstanden und anerkannt hatte, wurden diese in der Küche eingeführt. Vorher überlegten die Eltern genau, welches Fach für Oskar zum Ausräumen geeignet ist. Dort platzierten sie spannenden Küchenutensilen, welche genügend Experimentier- und Handlungsräume versprachen. Dann gingen sie mit Oskar in die Küche und klebten mit ihm gemeinsam zuerst den grünen Punkt und danach alle weiteren an. Oskar nahm die neue Regel an.

Seit diesem Tag räumt er nur noch seine Schublade aus.

Denn das Einhalten von erlernten Regeln ist eine große Stärke von Autismus und so auch von Oskar. Das Entdecken der „richtigen” Regeln ist oft nur die Herausforderung 😉.

Die Regel wurde verstanden. Nun reichen die grünen Punkte. Und eine Weile später band die Mutter einen grünen Knopf an den Griff der Schublade und es sah nicht mehr wie ein spezielles Hilfsmittel aus.

Haben Sie schon alle Geschichten von grünen und roten Punkten gelesen? Dann fällt Ihnen bestimmt auf, dass die Hilfsmittel immer gleich sind. Es sind und bleiben farbige Punkte. Jedoch unterscheidet sich ihre Bedeutung und der Weg der Erarbeitung. Umso wichtiger ist es, sich gemeinsam mit allen Personen zu beraten bzw. sie darüber zu informieren, welche Bedeutung Hilfsmittel für ihr Kind haben. Dies kann z. B. in einem Unterstützerkreis geschehen.

#Autismus #Herausforderungen #Stärken #Erziehung #Entdeckerfreude #Unterstützerkreis #Visualisierung #TEACCH #Unterstützte Kommunikation #Küche #Familie #Gemeinsame Zeit #Kinderzimmer #Schränke #Spielen

Eine Geschichte vom „Grünen Punkt“

Eine Geschichte vom „Grünen Punkt“

Geschichte 1

Visuelle Markierungen ersetzen wiederkehrende verbale Instruktionen
Eine Geschichte vom „Grünen Punkt"

Dies ist eine Geschichte aus Marvins Alltag. Er ist 4 Jahre alt und liebt es, beim Ankommen an der Eingangstür seines Wohnhauses, die Klingel zu drücken. Hört er danach seinen Vater oder eines seiner Geschwister durch die Freisprechanlage sprechen, ist er besonders glücklich. Auch wenn er auf eine falsche Klingel drückt (was sehr oft passiert ☹), hört er meistens eine Stimme und freut sich riesig darüber.

Klingelschild-grüner-Punkt

(vgl. Schatz und Schellbach 2014, S. 176)

Die Nachbarn finden es nicht immer so toll, wenn Marvin bei ihnen klingelt. Oft gab es deswegen schon Ärger. Die Eltern helfen Marvin, indem sie ihm immer wieder die richtige Klingel zeigen. Doch scheint sich Marvin die richtige Stelle nicht zu merken. Und ganz ohne Klingeln geht es auch nicht, denn dann geht Marvin nicht ins Haus.

Die Eltern wünschen sich:

„Marvin soll lernen , nur auf den Klingelknopf der Familie zu drücken”

Aus der Elternschulung wissen sie, dass es oft hilft, gesprochene Sprache durch eine Visualisierung zu ergänzen und haben die Idee, einen Punkt auf das richtige Klingelschild zu kleben. Dieser Punkt soll in einer autismussensiblen Sprache zu ihrem Sohn »sagen«:

 

Grüner-Punkt  „Marvin, hier kannst du klingeln!”.

 

Die Eltern klebten mit Marvin gemeinsam einen Punkt auf ihr Familienklingelschild. Heute klingelt Marvin nur noch an der eigenen Klingel.
Das Hilfsmittel in Form des grünen Punktes ist recht einfach. Das Verstehen der Bedeutung eines Hilfsmittels ist jedoch keineswegs immer so einfach wie bei Marvin. Oft steht vor der Umsetzung der Idee ein längerer Erarbeitungs- und Übungsweg. Dabei geht es dann vorallem um den Aufbau von Motivation, dass Hilfsmittel als solches zu erkennen, anzunehmen und zu nutzen.

Tipp:

Wer mehr über visuelle Instruktionen erfahren möchte, kann u. a. in folgender Fachliteratur stöbern:

  • Schatz, Yvette; Schellbach, Silke (2012): Strukturierte Förderung und Unterstützung nach dem TEACCH-Ansatz im Konzept KleineWege®. In: Behinderte Menschen (4/5), S. 57-73.
  • Schatz, Yvette; Schellbach, Silke (2014): Strukturierte Förderung nach dem TEACCH-Ansatz im Konzept KleineWege®. In: Praxis Ergotherapie (4), S.170-178.
  • Schatz, Yvette; Schellbach, Silke (2015): TEACCH – Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped Children. In: Georg Theunissen, Wolfram Kulig, Vico Leuchte und Henriette Paetz (Hg.): Handlexikon Autismus – Spektrum. Schlüsselbegriffe aus der Forschung, Theorie. Praxis und Betroffenen-Sicht. Stuttgart: Kohlhammer, S. 365-367.
  • Häußler, Anne (2016): Der TEACCH® Ansatz zur Förderung von Menschen mit Autismus. Einführung in Theorie und Praxis. 5., verbesserte und erweiterte Aufl. Dortmund: modernes lernen.
  • Häußler, Anne (2021): TEACCH – ein kommunikationsorientierter Ansatz zur ganzheitlichen Förderung von Menschen mit Autismus. In: Etta Wilken (Hg): Unterstützte Kommunikation. Eine Einführung in Theorie und Praxis. 6. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer, S. 188-211.

Haben Sie schon alle Geschichten von grünen und roten Punkten gelesen? Dann fällt Ihnen bestimmt auf, dass die Hilfsmittel immer gleich sind. Es sind und bleiben farbige Punkte. Jedoch unterscheidet sich ihre Bedeutung und der Weg der Erarbeitung. Umso wichtiger ist es, sich gemeinsam mit allen Personen zu beraten bzw. sie darüber zu informieren, welche Bedeutung Hilfsmittel für ihr Kind haben. Dies kann z. B. in einem Unterstützerkreis geschehen.

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