Linus, Papa und das Spiel mit den Zahlen

Linus, Papa und das Spiel mit den Zahlen

Geschichte 5

Linus, Papa und das Spiel mit den Zahlen
Visuelle Strukturen als Brücke zum nächsten Entwicklungsschritt

Obwohl Linus erst 4 Jahre alt ist, kennt er schon viele Zahlen. Er sagt diese sogar in mehreren Sprachen auf. Toll 😊. Wenn Linus Zahlen sagt, dann ist englisch, spanisch oder deutsch keine Schwierigkeit. Auch Fotos von Tieren oder Gegenständen in Büchern kann er benennen. Meist sitzt er dann allein mit seinem Buch auf dem Boden. An andere Menschen richtet Linus seine Sprache jedoch kaum. Er weiß noch nicht, warum und wie er seine Eltern rufen könnte.

Liegt Linus auf dem Boden und sein Vater setzt sich zu ihm, beginnt oft ein gemeinsames „Zahlenspiel“. Linus kennt die Regeln ganz genau. Immer sagt der Vater die erste Zahl. Linus antwortet mit „2“. Sagt Papa „3“, freut er sich über das Aufsagen der „4“. So geht es weiter bis zur 20, um dann wieder von vorn zu beginnen. Dieses Spiel könnte er immerzu, auf gleiche Art und Weise und mit großer Ausdauer in den verschiedenen Sprachen spielen. Auch der Vater spielt gern dieses Spiel mit seinem Sohn. Denn …

… Spielen ist auch für autistische Kinder eine wichtige Entwicklungsaufgabe.

 

Gern würde er seinem Sohn auch neue Spielideen geben. Seinen verbalen Vorschlägen und Erklärungen scheint Linus jedoch nicht folgen zu können.

Wie kann es gelingen, gemeinsam ein neues Spiel mit den Zahlen zu spielen?

 

Toll wäre es auch, wenn Linus das alte oder neue Zahlenspiel auch mit Mama, dem großen Bruder oder sogar mit den Kindern im Kindergarten spielen würde. Linus wäre dann der „Zahlenlehrer“ 😉. Ein schöner Gedanke.

Was braucht Linus, um das Spiel auch mit anderen Familienmitgliedern oder im Kindergarten zu spielen?

 

Seine Eltern beraten sich mit den anderen Eltern in der Elternschulung. Wer hat Erfahrungen? Wer hat Ideen?

Hier ist die gemeinsam gefundene Lösung (verkürzt!) beschrieben:

Zahlenspiel - Fachberatung Autismus - Silke Schellbach

1. Der Vater legt 20 Steckbausteine in eine Schüssel. Er setzt sich zu Linus auf den Boden und das Spiel kann beginnen. „1“ startet der Vater, hebt dabei einen Baustein in Linus Blickfeld und steckt ihn auf die Grundplatte. Linus sagt „2“. Der Vater nimmt einen 2. Baustein und steckt ihn auf…. Versteht Linus sein Handeln? Beobachtet er die neue Regel? Steckt er vielleicht auch einen Baustein auf, so wie es der Vater tut? Es macht nichts, dass Linus noch nicht mitspielt.

 

Der Vater weiß, dass Linus Beobachtungszeit braucht.

2. Am nächsten Tag ist Linus neugierig. Er setzt sich auf sein Kissen, damit er alles besser sehen kann. Wieder steckt der Vater die Bausteine auf. Linus ist noch nicht so mutig. Vielleicht kann er das Hinschauen, Nachdenken, Sprechen und das Agieren mit den Armen nicht so schnell zusammenbringen?

Der Vater ist geduldig.

Zahlenspiel 3 - Fachberatung Autismus - Silke Schellbach
Zahlenspiel 3 - Fachberatung Autismus - Silke Schellbach
3. Heute hilft der große Bruder. Er sitzt hinter Linus und darf seine Hände führen. Linus mag seinen Bruder sehr. Als Linus die Zahl „4“ sagt, stecken sie gemeinsam den 4. Baustein auf den Turm.

 

PRIMA!

Zahlenspiel 4 - Fachberatung Autismus - Silke Schellbach
Zahlenspiel 5 - Fachberatung Autismus - Silke Schellbach

4. Linus hat das Aufstecken verstanden. Es gelingt ihm immer besser, mit beiden Händen zu arbeiten. Das ist nicht so einfach. Sein Bruder ist ein wichtiger Helfer. Heute gibt es eine kleine neue Regel: Die Bausteinschüssel wird zwischen Vater und Linus hin und her gereicht. Auch hier ist der Bruder ein „unsichtbarer“ Helfer.

Beim Hin und Her geben der Schüssel fängt der Vater Linus Blick ein. In der Elternschulung wurde oft von den Möglichkeiten der Förderung von Kontakt und Interaktion im Familienalltag gesprochen. Blickfangspiele und Anstrahlen lassen sich gut im Alltag anwenden.

 

Der Vater strahlt Linus immer wieder an. Und manchmal lächelt Linus schon ein wenig zurück.

Zahlenspiel 6 - Fachberatung Autismus - Silke Schellbach

5. Den letzten Baustein steckt Linus auf. Fertig. So ein schöner großer Turm. Das Spiel ist zu Ende.

 

Für autistische Kinder ist es wichtig, den Beginn, das gemeinsame Tun und das Ende einer Handlung zu überblicken.

 

Deshalb fehlt noch etwas Wichtiges. Denn eine autismussensible Pädagogik zeigt sich vorallem darin, den Kindern Sicherheit und Orientierung zu geben. Visuelle Zeichen und Systeme haben dabei eine handlungsleitende und verhaltensregulierende Funktion (vgl. z.B. TEACCH®)

6. Das Material des neuen Zählspiels kommt in eine Kiste. An der Kiste ist eine Karte angebracht. Anhand dieser Karte soll Linus erkennen, welche Spielidee in der Kiste sein könnte.

 

Die Eltern nutzen Linus Interesse und Stärke für visuelle Details und wählen ein leuchtendes Gelb aus.

Linus entdeckt die Karte mit den aufgezeichneten Zahlenbausteinen sofort.

 

Durch diese Vorhersehbarkeit kann er sich viel besser auf eine Handlung einlassen. Und da der Vater nicht sofort spricht, darf Linus die Botschaft der Karte ganz allein „lesen“. PRIMA, Linus!

Zahlenspiel - Kiste Fachberatung Autismus - Silke Schellbach
Zahlenspiel - Kiste 2 - Fachberatung Autismus - Silke Schellbach
Zahlenspiel - Kiste 3 - Fachberatung Autismus - Silke Schellbach

Linus hat gelernt, dass alle Menschen, die ihm die Kiste zeigen, gern mit ihm das Zahlenspiel spielen wollen.

 

Linus spielt es nun auch mit seiner Mama und mit den Kindern im Kindergarten.

 

7. Und wie kann Linus das Ende der Spielzeit erkennen? Sind alle Zahlen oft genug gesprochen und Zahlentürme in englischer, spanischer und deutscher Sprache aufgebaut wurden, ist es Zeit für das Ende. Alle Bausteine und die gelbe Karte kommen in die Kiste. FERTIG!

Zahlenspiel - Kiste - Fachberatung Autismus - Silke Schellbach
* In der Kiste waren später nicht nur rote Bausteine. Denn man kann dieses Spiel mit ganz vielen Sachen spielen, z. B. Zählen und dabei Fädelperlen auffädeln, Zählen und bei jeder Zahl einen Aufkleber aufkleben u. v. m. ….Aber das sind dann schon wieder andere „Einfache Geschichten“ 😉.
Welche Kompetenzen können bei diesem Spiel erworben werden? Mehr lesen
  • die Aufmerksamkeit teilen und gemeinsam handeln
  • sich auf eigene Initiative einer Spielhandlung zuwenden
  • Handlungsmotivation entwickeln (KAHM nach Schatz und Schellbach, 2008)
  • eigeninitiiert Blickkontakt aufnehmen
  • das Abwechseln üben
  • etwas festhalten und gezielt loslassen
  • Hilfe annehmen (Führen nach Affolter)
  • Zeit verstehen: Beginn und Ende einer Aktivität / JETZT und das Konzept FERTIG
  • Raumstrukturen erfahren (hier auf der Decke spielen wir)
  • mit beiden Händen arbeiten (Haltehand- Aktionshand) …

Und jetzt ….

                  …. sich gemeinsam freuen über diese großartige Leistung.

Alina und der gelbe Ball

Alina und der gelbe Ball

Geschichte 4

Alina und der gelbe Ball
Objekte als Übergangshilfe bei Situationswechseln
Alina (5 Jahre) konnte lange Zeit nicht in den Kindergarten gehen. Seit fast 7 Monaten sah sie ihre Erzieher*innen nicht. Sie konnte auch nicht mit ihren Freund*innen zusammensein. Sie war krank.
Nun ist es soweit. Alina darf wieder in den Kindergarten. Alle Kinder freuen sich auf sie. Die Eltern sorgen sich jedoch. Wird Alina „einfach so“ nach langer Zeit wieder in den Kindergarten gehen? Wechsel in ihren gewohnten Alltagsabläufen mag Alina überhaupt nicht.
Am Morgen sprechen die Eltern mit Alina. Ruhig und geduldig beschreiben sie, was es im Kindergarten alles zu entdecken gibt. Aber als sie später in die Straße zum Kindergarten einbiegen, beginnt Alina bitterlich zu weinen. Sie nimmt den Arm der Mutter und möchte umkehren.
Die Eltern nehmen ihre Tochter auf den Arm und tragen sie weinend bis zum Kindergarten. Alle sind hilflos und traurig: Alina, ihre Eltern, die Erzieher*innen und die Kinder, denn Alina kann sich nicht beruhigen.

Abb. 1 Während ihrer Krankheit sind Alinas Eltern täglich mit ihr zur Brücke gelaufen. Alina kennt den Weg genau. Sie freut sich auf den Fluss und möchte Steine hineinwerfen. Immer trägt sie ein paar davon in ihrer Tasche bei sich.

Wie können die Eltern Alina erklären, dass sie heute nicht zum Fluss, sondern zum Kindergarten gehen wollen?

Spiele-grüne-rote-Punkte

Abb. 2: Plötzlich biegen die Eltern mit Alina in die Kindergartenstraße ein. Jetzt wird Alina sehr wütend. Sie möchte doch zum Wasser gehen!

Wie können Eltern, Erzieher*innen und Alinas Freund*innen helfen, damit sie sich wieder auf den Kindergarten freut?

 

Das ist eine schwierige Frage, auf welche es keine einfache Antwort geben kann. Denn viele Stärken und Herausforderungen des Autismus werden in dieser Situation plötzlich sichtbar. So wird beispielsweise Alinas Stärke, sich Abläufe gut zu merken und diese auch beständig einzuhalten, jetzt zu einem Hindernis. Auch ihre Vorliebe sich an Details zu orientieren, hindert sie daran, die vielen Informationen der Eltern zu erfassen …

Alina und ihre Eltern erleben eine Krisensituation. Jedoch können in einer Krise neue Verhaltensweise nur schwer erlernt werden. Das kennt bestimmt jeder von sich selbst. Erlebt man Stress, weil z. B. etwas anderes geschieht als erwartet oder man zu viele Dinge erledigen muss oder weil man sich nicht richtig vorstellen kann, was in den nächsten Momenten passieren wird, oder weil wir vielleicht auch die Sprache der anderen nicht verstanden haben …, dann möchten wir uns doch auch am liebsten aus all dem Stress zurückziehen, weglaufen oder einfach laut rufen: „Ich will das jetzt nicht tun! Das ist mir alles zuviel!“. So wie Alina.

Die Eltern, die Bezugserzieherin und die Autismuspädagogin treffen sich zu einem kleinen Unterstützerkreis, um sich abzustimmen.

Fotos und Tasche mit Kreuz
Abb. 3: Ein kleiner Unterstützerkreis findet am Nachmittag im Kindergarten statt. Wie können alle zusammen eine „Brücke“ für Alina bauen, damit sie das Übergangshindernis überwinden kann?

Gemeinsam werden Beobachtungen und Vermutungen zusammengetragen. Die Unterstützer*innen möchten Alina verstehen, um die Situation autismussensibel zu verändern.

Familienmitglieder, die nicht mitspielen können.
Sie beschließen:

Eine gemeinsame positive Spielerfahrung soll Alina helfen, sich auf den Tag im Kindergarten zu freuen.

Alle Dinge, welche Alina mag, sollen in ein tägliches „Begrüßungsspiel“ eingebunden werden. Dieses Spiel soll für Alina eine Brücke in den Kindergartenalltag sein. Dabei wird beobachtet, mit welchen Objekten Alina besonders gern spielt. Eines davon soll ein Übergangsobjekt werden (Referenzobjekt).

Als Alina am nächsten Tag weinend an der Kindergartentür steht, wird sie von ihrer Erzieherin mit einem strahlenden Blick und einem „Spielkorb“ begrüßt. In der Fachberatung mit der Autismuspädagogin hatte sie schon viel über eine alltagsintegrierte Kontakt- und Interaktionsförderung erfahren. Sie weiß, das Anstrahlen ist ein bedeutsames Element 😊. Noch im Flur beginnt das Spiel. Es heißt: „Was rollt, springt, purzelt, plumpst … von oben nach unten?“ Die Erzieherin hat 2 Spielexperten mitgebracht. Akin und Sebastian wissen schon ganz genau, wie dieses Spiel geht und können Alina helfen.

 

Das Team der Spielgruppe:

Akin und Sebastian sind Spielexperten

Alina ist (noch) Spielanfängerin

Frau Schmidt
Führt durch das Spiel.

Kleiner Tipp: Dieses Vorgehen findet sich im Konzept der Integrierten Spielgruppen (IPG – Integrated Play Groups®) von Pamela Wolfberg (2019). Durch Methoden der geführten Teilnahme sind gemeinsame Spielerlebnisse von Spielanfängern und Spielexperten möglich. Ein sehr empfehlenswertes Modell 😊!

Abb. 4: Viele Ideen bringen die Spielexperten ein. Alina staunt und freut sich besonders über den hüpfenden gelben Ball. Der Treppenaufgang und eine schiefe Ebene werden zum Spielplatz. Immer wieder rollen und hüpfen Bälle, Walzen, Röhren, Strumpfbälle etc. nach unten.

Die Erzieherin beendet das Spiel, indem sie ein Lied zum Abschluss singt und ein Tuch über den Korb ausbreitet, nachdem alle Materialien wieder in diesem verwahrt sind. Alle hatten große Freude. Alle hatten beobachtet, dass Alina am liebsten die gelben Bälle aus dem Bällchenbad springen und hüpfen liess.

 

Alina bekommt ein „Kindergartenzeichen“.

 

 

 

Jetzt geht es in den Kindergarten.

Im Kindergarten wird der Ball ausgepackt und in den Spielkorb gelegt. Und nun startet wieder das gemeinsame Spiel. Geschafft! Das Spiel ist eine Brücke in den Kindergartentag geworden. Nun können die nächsten Schritte besprochen werden.

Abb. 5: Einige Zeit später ist aus dem Ball eine Objektkarte geworden, welche stellvertretend für den richtigen gelben Ball steht.

Liebe Leser*innen, dies ist natürlich nur eine Geschichte von vielen. Und vorallem ist es die Geschichte von Alina. Was ihr geholfen hat, hilft nicht allen Kindern. Aber vielleicht finden Sie auch ein Übergangsobjekt, mit welchem Ihr Kind eine schwierige Situation, ein Hindernis besser überwinden kann?

Ihre Silke Schellbach

Farbige Punkte und ein rotes Kreuz

Farbige Punkte und ein rotes Kreuz

Geschichte 3

Visuelle Markierungen verdeutlichen eine Regel für das Zusammensein mit anderen
Farbige Punkte und ein rotes Kreuz
Jasper geht in die 3. Klasse der Grundschule. Er liebt jede Art von Gesellschaftsspielen, welche klare Regeln vorgeben. In der Schule findet sich oft wenig Zeit dafür. Nach seinen Hausaufgaben sucht Jaspar deshalb meist seinen Lieblingsspiele und möchte, dass alle Familienmitglieder mitspielen, welche gerade zu Hause sind. Jaspar scheint nicht zu verstehen, dass nicht immer alle Zeit dafür aufbringen können, nicht jeder gerade Lust hat oder einfach auch noch nicht alt genug für diese Spiele ist, wie seine kleine 2-jährige Schwester. Im Familienalltag bringt seine Spielleidenschaft Eltern und Geschwister oft zur Verzweiflung, denn Jaspar bleibt solange hartnäckig, bis ein Spiel beginnen kann. Eltern und Geschwister wünschen sich, dass Jaspar sich besser in die anderen hineinversetzt und akzeptiert, dass er auch einmal allein spielen kann.

1. Einen Wunsch als Ziel formulieren:

„Heute können wir nur das Spiel XY oder Z spielen. Bei diesem Spiel spielen folgende Familienmitglieder mit: ……….. .”

 

2. Überlegen, wie das erwartete „richtige” Verhalten verdeutlicht werden kann. Die neue Regel in einer positiven Sprache formulieren.
Um auf Jaspars Stimmungen gut eingehen zu können, ist es wichtig, dass er eine Spielauswahl treffen kann. Im Kinderzimmer ordnete die Mutter die Spiele in unterschiedliche Fächer ein und kennzeichnete die Bereiche mit S, M und L (small, middle, large).

Spiele-grüne-rote-Punkte

 „Wähle bis zu 3 Lieblingsspiele aus. Nimm aus jedem Fach nur 1 Spiel heraus. Bringe deine Auswahl zur ›Spielberatung‹ zum Küchentisch.”

 

Die Auswahl des Spieles für das passende Zeitfenster der Familie übernimmt ein Familienmitglied. Mit Hilfe der farbigen Punkte wird markiert, welche Spiele jetzt gespielt werden könnten und welche nicht.

Fachberatung Autismus Silke Schellbach - Grüner-Punkt 
 Der grüne Punkt verdeutlicht:

„Dieses Spiel können wir jetzt spielen!“

roter-punkt

 Der rote Punkt bedeutet:

„Das Spiel muss warten! Wir können es jetzt nicht spielen.”

Nachdem ein Spiel ausgewählt wurde, braucht Jaspar nun noch eine Unterstützung, um zu verstehen, dass nicht alle Anwesenden auch wirklich mitspielen können. Dafür wurden mit Jaspar Fotos der Familie gesucht, ausgeschnitten und auf Kärtchen geklebt. Alle anwesenden Familienmitgliederkärtchen (oder Gästekarten wie Oma und Opa) werden ausgebreitet. Diejenigen, welche mitspielen können, werden bleiben sichtbar. Alle anderen steckt Jaspar in die Tasche mit dem  Rotes-Kreuz .

 

Rotes-Kreuz „Wer in der Tasche steckt, spielt jetzt nicht mit!”

Fotos und Tasche mit Kreuz

3. Darüber beraten, wie Jaspar die neue Regel positiv erlernen kann.

Die Familie beschloss, diese Regel an einem Wochenende einzuführen und in einem «Familienrat» zu besprechen. Die Materialien (Fotos, Kärtchen, Punkte …) wurden vorher zusammengesucht.

4. Das Hilfsmittel in der konkreten Situation einführen und mit positiven Erfahrungen verbinden.

Eltern und Geschwistern spielten gemeinsam am Wochenende in verschiedenen Zeitabschnitten verschiedene Spiele nach dieser neuen Regel.

Familienmitglieder, die nicht mitspielen können.

Es gibt immer noch schwierige Tage, aber meistens kann sich Jaspar an die Regel halten. Rotes-Kreuz

#Autismus #Herausforderungen #Stärken #Erziehung #Entdeckerfreude #Unterstützerkreis #Visualisierung #TEACCH #Unterstützte Kommunikation #Familie #Gemeinsame Zeit #Kinderzimmer #Mitspieler #Spielen

Eine Geschichte von grünen und roten Punkten

Eine Geschichte von grünen und roten Punkten

Geschichte 2

Visuelle Markierungen erklären eine Regel im Umgang mit den Dingen
Eine Geschichte von grünen und roten Punkten

Hat Oskar (5 Jahre) Zeit zum Spielen, dann ist gern in seinem Kinderzimmmer und räumt seine Legobausteinkästen aus und sortiert sie beim Einräumen neu ein. Das ist für ihn nach einem turbulenten Kindergartenalltag eine wirkliche Entspannung. Nach dieser Entspannungszeit ist Oskar auf der Suche nach neuen Spielideen. Am liebsten geht er in der Küche auf Entdeckertour und erkundet, welche Dinge sich hinter den vielen Schranktüren befinden. Es gibt soviel zu Entdecken! Etwas zum Klappern, zum Drehen, glitzernde Dinge, laute Sachen, Knistertüten, große Töpfe mit und ohne Deckel, Dinge, in welche man etwas hineinschütten kann, Dinge, aus denen etwas herausgeschüttet werden kann … Oskars Eltern teilten zu Beginn dieseEntdeckerfreude, denn noch vor 2 Jahren, nahm er kaum von selbst etwas anderes als sein Spielzeugtelefon in die Hand. Doch nach fast einem Jahr täglichem Küchenchaos sind sie verzweifelt.

„Wie kann Oskar lernen, nicht immer alle Schränke auszuräumen?”

Oskars Eltern helfen sich zunächst damit, dass sie die Küche abschließen. Oskar kann das nicht verstehen. Er weint lange oder wirft sich sogar wütend auf den Boden. Und dann gibt es noch die anderen Schränke in der Wohnung! Sollen die Eltern alle Türen abschließen?

Die Eltern wissen, dass dies nicht langhaltend der Weg für das Zusammenleben als Familie sein kann. In der Elternschulung erarbeiteten sie sich einen Lösungsweg, von welchem hier kurz berichtet werden soll:

1. Einen Wunsch als Ziel formulieren:

„Oskar räumt nur noch die Schränke/ Schubladen aus, welche für ihn bestimmt sind.”

Oskar sollte also weiterhin, spannende Dinge in der Küche erkunden können. Denn Oskar mag das Spielen in der Küche und die Eltern mögen es, wenn Oskar bei ihnen ist. Die Sachen der Eltern sollten jedoch in den Schränken bleiben.

 

2. Überlegen, wie das erwartete »richtige« Verhalten verdeutlicht werden kann. Die neue Regel in einer positiven Sprache formulieren.

gruener-punkt

 Der grüne Punkt verdeutlicht:

 

„Hier ist dein Schrank. Du kannst ihn öffnen. Es sind viele spannende Sachen darin!“

roter-punkt

 Der rote Punkt bedeutet:

 

„Stopp! Die Schranktür bleibt zu!”

3. Darüber beraten, wie Oskar die neue Regel positiv erlernen kann. Reicht es, einfach Punkte auf die Schränke zu kleben? Wird Oskar diese überhaupt wahrnehmen? Warum soll er es akzeptieren, dass diese Punkte eine neue Regel verdeutlichen? Die Eltern wollten zunächst Übungswege außerhalb der Krisensituation (Oskar sitzt bereits vor einem Küchenschrank und möchte ihn öffnen) finden.

Die Eltern und Geschwister spielten mit Oskar verschiedene Spiele, welche den grünen Punkt und roten Punkt mit positiven Erfahrungen besetzten.

Das „Grüne Ampel – rote Ampel – Spiel“ ist ein Beispiel.

Es wurde ein Lieblingsspiel von Oskar. Der Vater und Oskar bauten zunächst zusammen einen Signalstab und malten ihn mit grüner und roter Farbe an. Nach seiner Fertigstellung wurden verschiedene Dinge ausprobiert, die gemacht werden dürfen und bei Rot mit dem Wort „Stopp“ beendet werden sollten. Zum Beispiel ganz laut auf Töpfe schlagen oder eine Kissenschlacht machen …. Oskar hielt gern den Signalstab und achtete genau darauf, dass bei Rot alle wirklich stoppten.

Fachberatung Autismus Silke Schellbach - Küchenschrank-grüne-Punkte

4. Das Hilfsmittel in der konkreten Situation einführen und mit positiven Erfahrungen verbinden.

Als Oskar die Bedeutung der Punkte verstanden und anerkannt hatte, wurden diese in der Küche eingeführt. Vorher überlegten die Eltern genau, welches Fach für Oskar zum Ausräumen geeignet ist. Dort platzierten sie spannenden Küchenutensilen, welche genügend Experimentier- und Handlungsräume versprachen. Dann gingen sie mit Oskar in die Küche und klebten mit ihm gemeinsam zuerst den grünen Punkt und danach alle weiteren an. Oskar nahm die neue Regel an.

Seit diesem Tag räumt er nur noch seine Schublade aus.

Denn das Einhalten von erlernten Regeln ist eine große Stärke von Autismus und so auch von Oskar. Das Entdecken der „richtigen” Regeln ist oft nur die Herausforderung 😉.

Die Regel wurde verstanden. Nun reichen die grünen Punkte. Und eine Weile später band die Mutter einen grünen Knopf an den Griff der Schublade und es sah nicht mehr wie ein spezielles Hilfsmittel aus.

Haben Sie schon alle Geschichten von grünen und roten Punkten gelesen? Dann fällt Ihnen bestimmt auf, dass die Hilfsmittel immer gleich sind. Es sind und bleiben farbige Punkte. Jedoch unterscheidet sich ihre Bedeutung und der Weg der Erarbeitung. Umso wichtiger ist es, sich gemeinsam mit allen Personen zu beraten bzw. sie darüber zu informieren, welche Bedeutung Hilfsmittel für ihr Kind haben. Dies kann z. B. in einem Unterstützerkreis geschehen.

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Eine Geschichte vom „Grünen Punkt“

Eine Geschichte vom „Grünen Punkt“

Geschichte 1

Visuelle Markierungen ersetzen wiederkehrende verbale Instruktionen
Eine Geschichte vom „Grünen Punkt"

Dies ist eine Geschichte aus Marvins Alltag. Er ist 4 Jahre alt und liebt es, beim Ankommen an der Eingangstür seines Wohnhauses, die Klingel zu drücken. Hört er danach seinen Vater oder eines seiner Geschwister durch die Freisprechanlage sprechen, ist er besonders glücklich. Auch wenn er auf eine falsche Klingel drückt (was sehr oft passiert ☹), hört er meistens eine Stimme und freut sich riesig darüber.

Klingelschild-grüner-Punkt

(vgl. Schatz und Schellbach 2014, S. 176)

Die Nachbarn finden es nicht immer so toll, wenn Marvin bei ihnen klingelt. Oft gab es deswegen schon Ärger. Die Eltern helfen Marvin, indem sie ihm immer wieder die richtige Klingel zeigen. Doch scheint sich Marvin die richtige Stelle nicht zu merken. Und ganz ohne Klingeln geht es auch nicht, denn dann geht Marvin nicht ins Haus.

Die Eltern wünschen sich:

„Marvin soll lernen , nur auf den Klingelknopf der Familie zu drücken”

Aus der Elternschulung wissen sie, dass es oft hilft, gesprochene Sprache durch eine Visualisierung zu ergänzen und haben die Idee, einen Punkt auf das richtige Klingelschild zu kleben. Dieser Punkt soll in einer autismussensiblen Sprache zu ihrem Sohn »sagen«:

 

Grüner-Punkt  „Marvin, hier kannst du klingeln!”.

 

Die Eltern klebten mit Marvin gemeinsam einen Punkt auf ihr Familienklingelschild. Heute klingelt Marvin nur noch an der eigenen Klingel.
Das Hilfsmittel in Form des grünen Punktes ist recht einfach. Das Verstehen der Bedeutung eines Hilfsmittels ist jedoch keineswegs immer so einfach wie bei Marvin. Oft steht vor der Umsetzung der Idee ein längerer Erarbeitungs- und Übungsweg. Dabei geht es dann vorallem um den Aufbau von Motivation, dass Hilfsmittel als solches zu erkennen, anzunehmen und zu nutzen.

Tipp:

Wer mehr über visuelle Instruktionen erfahren möchte, kann u. a. in folgender Fachliteratur stöbern:

  • Schatz, Yvette; Schellbach, Silke (2012): Strukturierte Förderung und Unterstützung nach dem TEACCH-Ansatz im Konzept KleineWege®. In: Behinderte Menschen (4/5), S. 57-73.
  • Schatz, Yvette; Schellbach, Silke (2014): Strukturierte Förderung nach dem TEACCH-Ansatz im Konzept KleineWege®. In: Praxis Ergotherapie (4), S.170-178.
  • Schatz, Yvette; Schellbach, Silke (2015): TEACCH – Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped Children. In: Georg Theunissen, Wolfram Kulig, Vico Leuchte und Henriette Paetz (Hg.): Handlexikon Autismus – Spektrum. Schlüsselbegriffe aus der Forschung, Theorie. Praxis und Betroffenen-Sicht. Stuttgart: Kohlhammer, S. 365-367.
  • Häußler, Anne (2016): Der TEACCH® Ansatz zur Förderung von Menschen mit Autismus. Einführung in Theorie und Praxis. 5., verbesserte und erweiterte Aufl. Dortmund: modernes lernen.
  • Häußler, Anne (2021): TEACCH – ein kommunikationsorientierter Ansatz zur ganzheitlichen Förderung von Menschen mit Autismus. In: Etta Wilken (Hg): Unterstützte Kommunikation. Eine Einführung in Theorie und Praxis. 6. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer, S. 188-211.

Haben Sie schon alle Geschichten von grünen und roten Punkten gelesen? Dann fällt Ihnen bestimmt auf, dass die Hilfsmittel immer gleich sind. Es sind und bleiben farbige Punkte. Jedoch unterscheidet sich ihre Bedeutung und der Weg der Erarbeitung. Umso wichtiger ist es, sich gemeinsam mit allen Personen zu beraten bzw. sie darüber zu informieren, welche Bedeutung Hilfsmittel für ihr Kind haben. Dies kann z. B. in einem Unterstützerkreis geschehen.

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