EIN ROTER FADEN

UNTERSTÜTZERKREISE ALS PROZESS BEGLEITENDE BERATUNG
Die Herausforderungen im Zusammenhang mit Autismus sind oft sehr komplex. Jedoch ist nicht das autistische Kind, der Jugendliche oder Erwachsene herausfordernd! Die Herausforderung entsteht eher durch Situationen, die für autistische Menschen nicht optimal sind und deshalb zu Problemen führen. Hierin liegt eine große Chance für autistische Menschen und deren Unterstützer*innen.

Denn Situationen können sich meist verändern, wenn diese aus einer Unterstützungsperspektive heraus betrachtet werden.

Unterstützerkreise Schatz und Schellbach 2009

Das Konzept der „Unterstützerkreise“ wurde von Yvette Schatz und mir vor einigen Jahren während unserer gemeinsamen Arbeit im Autismuszentrum KleineWege® entwickelt (Schatz und Schellbach 2009).

Ein Kerngedanke des Konzeptes ist, dass alle Unterstützer*innen, Familienangehörige, Fachpersonen und Nicht-Fachpersonen als auch das autistische Kind selbst, der Jugendliche oder Erwachsene in einem strukturierten Beratungskontext zusammenfinden, um ein personenzentriertes und familienorientiertes gemeinsames Vorgehen zu ermöglichen.

Der „Unterstützerkreis“ entstand aus unserer wiederkehrenden Erfahrung heraus, dass autistische Menschen von vielen Fachpersonen und Unterstützer*innen mit medizinischen, therapeutischen, heil-, sonder- oder sozialpädagogischen Angeboten begleitet werden. Dabei wissen diese oft nicht ausreichend von den pädadogischen und therapeutischen Zielstellungen der anderen. Auch findet sich oft kaum Raum und Zeit für die Abstimmung der wesentlichen Zielstellungen nach familienbedeutsamen und lebensbedeutsamen Aspekten.

Eine Abstimmung ist auf Grund der stark ausgeprägten Übertragungsschwierigkeiten (Generalisierungsprobleme) autistischer Menschen besonders wichtig.

Der Kerngedanke des Unterstützerkreises soll hier kurz am Beispiel von Leo gezeigt werden:

Fachberatung Autismus Silke Schellbach - Küchenschrank-grüne-Punkte

Das ist Leo.

 

Er liebt jede Art von Fäden und hält diese gern in der Hand.
Seine Lieblingsfarbe ist rot.
Meist hält Leo den roten Faden in der Hand.

DER LEBENSWEG ALS ROTER FADEN

(Eigene Darstellung angelehnt an Schatz und Schellbach 2009, S. 12 -27)

Stellen wir uns den Lebensweg wie einen roten Faden vor: Es zeichnen sich schnell Ereignisse ab, welche alle Gleichaltrigen vereinen. Schon mit der Geburt des Kindes blicken wir auf den Kindergarten (weil wir hierzu eine Entscheidung treffen müssen) und bald wissen wir um die wohnortnahe Schule, denken vielleicht schon an Freizeitaktivitäten und Vereine, weil vielleicht in der Familie ein Hobby generationsübergreifend gepflegt wird. Und auch wenn wir zu diesem Zeitpunkt nicht daran denken möchten, wissen wir, dass irgendwann eine Schule zu Ende ist und sich dann die Frage nach einer beruflichen Qualifikation stellt … Wir wissen auch, dass viele Menschen außerhalb der Familie wichtig für das Kind werden und wünschen uns, dass es möglichst viele Freunde finden wird.
So einfach, wie hier geschrieben, ist es natürlich für die meisten Menschen nicht.

VIELE HINDERNISSE* IN WECHSELWIRKUNG MIT DER UMWELT

* statt Hindernisse wird in der Fachliteratur oder in der Gesetzgebung eher der Begriff Barriere benutzt. Ich nutze oft lieber den Begriff Hindernis, da dieser die Be-Hinderung deutlicher macht.

Familien mit einem Kind, welches unter den Bedingungen des Autismus den roten Faden seines Lebens entdecken möchte, haben es häufig sehr schwer. Familie und Kind stehen vor enorm vielen Herausforderungen.

So sind beispielsweise die Teilhabe am Familienalltag, der Gemeinschaft und Bildung im Kindergarten oder der Schule für das Kind mit vielen Hindernissen verbunden.

Leo geht mehrmals in der Woche zu verschiedenen Therapien, um mit den Hindernissen besser klarzukommen.

Viele Menschen unterstützen ihn. Zum Beispiel …

Im Vergleich zu seinen Gleichaltrigen lernt Leo ganz schön viele „Zusatz- Etappen“ mit vielen zusätzlichen Personen auf seinem Lebensweg kennen.

HINDERNISSE ABBAUEN IST EINE GEMEINSAME AUFGABE

 

Diese Hindernisse zu bemerken und möglichst abzubauen, ist die Aufgabe von allen Unterstützer*innen. Das können Leo und seine Familie nicht allein schaffen. Dabei geht es vielleicht um solche Hindernisse: Wie kann das Anziehen am Morgen so strukturiert werden, dass die Handlungsfolge für das autistische Kind verständlicher ist und dieser morgendliche Prozess dann nicht mehr den Start in den Schultag behindert? Welche Voraussetzungen können in der Schulmensa ermöglicht werden, damit der Schüler ungehindert seine Mittagsmahlzeit einnehmen kann? Wie kann ein erwachsener junger Mann motiviert werden, sein I-Pad als Kommunikationsmittel auch außerhalb der WG zu benutzen? ….

DER UNTERSTÜTZERKREIS – UNTERSTÜTZUNGSMASSNAHMEN ABSTIMMEN

Im Unterstützerkreis bilden alle ein gemeinsames Arbeitsbündnis.

Jedoch geht es im Unterstützerkreis nicht darum, dass alle in ihrem Lebensalltag das Gleiche tun. Das fände Leo sicher sehr langweilig. Es soll vielmehr über das autismussensible Vorgehen bei der Auswahl von Hilfsmitteln, bei der Etablierung von bedeutsamen Strukturen, beim Gehen gemeinsamer Kommunikationswege, beim Lernen …. beraten und abgestimmt werden. Denn das größte Hindernisse für autistische Menschen ist es, wenn es in verschiedenen Lebenssituationen verschiedene Hilfen auf unterschiedlichen Kommunikations- und Abstraktionsebenen gibt.

Fehlende Absprachen zwischen den Familien, Fachleuten und Unterstützer*innen sind ein großes Hindernis für Menschen aus dem Autismusspektrum.

KOOPERATION UND AUSTAUSCH MINIMIERT SCHWIERIGE (PÄDAGOGISCHE) SITUATIONEN.

Wollen Sie mehr über Unterstützerkreise und darüber, wie man diese vorbereitet, durchführt und nachbereitet erfahren?
Nehmen Sie gern mit mir Kontakt auf.

Ihre Silke Schellbach

TIPP:

Wer sich vertiefen möchte, kann u. a. in dieser Fachliteratur stöbern:

 

  • Schatz, Yvette; Schellbach, Silke (2009): Unterstützerkreise. Nordhausen: Kleine Wege.
  • Schatz, Yvette; Schellbach, Silke (2015): Unterstützerkreis: In: Georg Theunissen, Wolfram Kulig, Vico Leuchte und Henriette Paetz (Hg.): Handlexikon Autismus-Spektrum. Schlüsselbegriffe aus Forschung, Theorie, Praxis und Betroffenen-Sicht. Stuttgart: Kohlhammer, S. 372-374.
  • Schellbach, Silke (2021): Heilpädagogische Förderung und Unterstützung bei Autismus. Die Balance zwischen Offenheit und Struktur bei der Unterstützung von Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum. In: heilpaedogik.de 36 (3), S. 17-22.
  • Theunissen, Georg; Sagrauske, Mieke (2019): Pädagogik bei Autismus. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer, S. 111-117.
  • Theunissen, Georg (2021): Basiswissen Autismus und komplexe Beeinträchtigungen. Lehrbuch für die Heilerziehungspflege, Heilpädagogik und (Geistig-) Behindertenhilfe. Freiburg: Lambertus, S. 289.
AUS DER PRAXIS:

Fachberatung Autismus Silke Schellbach - Roter Koffer Die Temple – Grandin-Schule – Inklusive Schwerpunktschule mit dem Förderschwerpunkt Autismus – in Berlin Friedrichshain hat schon seit mehreren Jahren das Konzept des Unterstützerkreises in ihre schulische Praxis etabliert.

Ich freue mich darauf, am 03.05.2022 dort im Team zu sein und einen Workshop zum Thema zu gestalten.

 

Wer Lust hat, kann in der Schulkonzeption nachlesen. Nicht nur wegen der Unterstützerkreise lohnt sich ein Blick.

Abb. 1

 

Abb. 2

Abb. 1 u. 2. Unterstützerkreis in der Schulkonzeption (Senatsverwaltung Berlin 2014, S. 55-56)

Quelle:
Senatsverwaltung Bildung, Jugend und Wissenschaft von Berlin (2014): Schulprogramm der Schule am Friedrichshain. Berlin, S. 55-56. Online zugänglich: https://www.temple-grandin-schule.de/wp-content/uploads/Schulprogramm-Temple-Grandin-Schule.pdf, letzter Zugriff: 30.04.2022